Die Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war!

Der Herr Jesus bittet im sogenannten Hohepriesterlichen Gebet darum, nun mit der Herrlichkeit verherrlicht zu werden, die er bei seinem Vater hatte, ehe die Welt war:

Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war! (Joh 17,5)

Die Frage ist hierbei, ob Jesus Christus in einer realen Präexistenz vor seiner Geburt beim Vater gegenwärtig war in „seiner Herrlichkeit“, oder ob es vielmehr darum geht, nun das zu empfangen, was der Vater bereits vor der Erschaffung der Welt für ihn vorgesehen hatte und durch die Propheten ihm schon immer verheißen war.


Bereits in Vers 1 kommt das zum Ausdruck, indem Jesus sein Gebet beginnt: "Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn…" Nun ist offenbar der Zeitpunkt der Verherrlichung gekommen. Es wird hier kein "wieder" verwendet im Sinne von „setze mich wieder in die Position ein, die ich früher bei dir hatte“. Ich glaube, dass die Schrift hier sagt, dass der Herr Jesus nun das erhalten möchte, was für ihn von Anfang an vorgesehen und auch konkret verheißen war. Klare Belege für diese Sichtweise möchte ich hier nennen und beginne mit 1.Pet 1,10-11:

Im Hinblick auf diese Rettung suchten und forschten Propheten, die über die an euch erwiesene Gnade weissagten. Sie forschten, auf welche oder auf was für eine Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er die Leiden, die auf Christus kommen sollten, und die Herrlichkeiten danach vorher bezeugte.

Für die Propheten war es klar, dass der Gesalbte Gottes erst leiden müsse, bevor er die Herrlichkeiten erhalten würde, die sie vorhersagten. Allein der Zeitraum war für sie offensichtlich Grund zum Nachforschen. Aber dass der Christus zuerst leiden müsse, um danach verherrlicht zu werden, stand außer Frage für die Propheten. Die heutigen Theologen drehen das leider gerne um – und nicht nur das.


Ebendieses bezeugte der Herr Jesus selbst, als er den "Emmaus-Jüngern" vorwarf, dass sie Toren seien und im Herzen zu träge, um den Propheten zu glauben (Lk 24,25), indem er rhetorisch fragte:

Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit hineingehen? (Lk 24,26)

"In seine Herrlichkeit" hineingehen nach den Leiden - Er zeigt auf, dass die Propheten die Herrlichkeit des Christus voraussagten, dass dem jedoch sein Leidensweg vorausgehen musste.


Phil 2 legt schließlich dar, dass der Grund für die Erhöhung des Herrn Jesus durch Gott zum Herrn über alles - im Himmel, auf der Erde und unter der Erde - darin liegt, dass der Herr Jesus gehorsam war bis zum Tod, ja sogar bis zum Tod am Fluchholz/Kreuz.

…erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz. Darum (aus diesem Grund) hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. (Phil 2,8-11)

Es war wegen seinem Gehorsam bis zum letzten, bis zum Tod am Fluchholz. Darum, deswegen, aus diesem Grund, hat Gott ihn so hoch erhoben… Hatte der Herr Jesus diese Position zuvor schon inne, wie die Verse 5-7 nach Ansicht mancher aussagen? Ich meine nicht, denn die Verse 8-11 würden sonst ihres Sinnes beraubt.


Es steht in Heb 1,3 geschrieben, dass der Sohn Gottes sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat, nachdem er die Reinigung von den Sünden bewirkt hat.

Und schließlich wird in Off 5,5 beschrieben, dass der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids (Jes 11,1 u. 10) überwunden hat und deswegen würdig ist, das Buch aus der Rechten dessen zu nehmen, der auf dem Thron sitzt, und seine sieben Siegel zu öffnen. Das Lamm musste also erst geschlachtet werden, bevor es dazu würdig war.


Ich meine, dass die Erhöhung des Herrn Jesus wegen seines Gehorsams bzw. Überwindens nur dann sinnvoll ist, wenn er zuvor nicht schon tatsächlich in dieser Position war, sondern dies im Sinn von Verheißung zu verstehen ist.

Diese Sichtweise wird zudem durch Röm 1,1-4 untermauert:

Paulus, Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, das er durch seine Propheten in heiligen Schriften vorher verheißen hat über seinen Sohn, der aus der Nachkommenschaft Davids gekommen ist dem Fleische nach, und als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt dem Geist der Heiligkeit nach aufgrund der Totenauferstehung: Jesus Christus, unseren Herrn.

Hiernach wurde Jesus Christus erst als Sohn Gottes in Kraft eingesetzt aufgrund der Totenauferstehung (andere ÜS: durch die Auferstehung aus den Toten). Gottes Sohn war er natürlich seit seiner Zeugung durch den Geist Gottes in Maria, aber in die Vollmacht, die er nun und für immer innehat, wurde er erst nach der Totenauferstehung eingesetzt.

Die Herrlichkeit vor Grundlegung der Welt findet in gewisser Hinsicht ihre Parallele auch in anderen Schriftstellen:

- Dann wird der König zu denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, Gesegnete meines Vaters, erbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an! (Mt 25,34)

- Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus hat uns in Christus Jesus erwählt vor Grundlegung der Welt (Eph 1,3-4)

- Alle Werke sind geschaffen von Grundlegung der Welt an (Eph 2,10; Heb 4,3)

- ...und die Bewohner der Erde, deren Namen nicht im Buch des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich wundern, wenn sie das Tier sehen (Off 17,8)

- Gott hat uns gerettet und berufen mit heiligem Ruf [...] nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns [...] vor ewigen Zeiten gegeben, jetzt aber offenbart worden ist (2.Tim 1,9-10a)

Für und mit den durch Jesus Christus Erlösten ist offensichtlich vor Grundlegung der Welt schon einiges geschehen, wobei wohl niemand ernsthaft von einer realen Präexistenz der Gläubigen ausgehen würde, auch wenn sie hier noch so sehr nahe zu liegen scheint. Und dass Jesus, der Messias, nicht von dieser Welt ist, beinhaltet genauso wenig seine Präexistenz wie die der Gläubigen, denn auch Letztere sind nach Jesu Worten nicht von der Welt (Joh 15,19; 17,14; 17,16).

Der Herr Jesus Christus wurde von Gott verherrlicht,
weil er ihm gehorsam wurde bis zum Tod am Kreuz und somit als Verfluchter galt.
(5.Mo 21,23; Gal 3,13)